Future Skills am Stromberg-Gymnasium: Zehntklässler arbeiten ein halbes Jahr lang an einem selbst gewählten Projekt
Ein normaler Schulmorgen: Die Schülerinnen und Schüler sitzen pünktlich zur ersten Stunde im Klassenzimmer. Von ihrer Lehrkraft bekommen sie Lernmaterial ausgeteilt, das streng an den Bildungsplan gebunden ist und für die ganze Klassenstufe gilt. Sie sollen nun das behandelte Thema verinnerlichen. Die Lehrkraft erwähnt, wie wichtig der Stoff sei, schließlich komme dieser in der Arbeit dran. Bei gestellten Fragen schnellen eifrige Hände in die Höhe. Jeder will eine gute mündliche Note bekommen. In allen Köpfen ist ein Ziel präsent: der Notendurchschnitt.
Doch für die Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse des Stromberg-Gymnasiums ist an einem Mittwochmorgen im Februar alles anders: Willkommen geheißen werden sie von einem Mentoren-Team, bestehend aus sieben Lehrkräften, welche die Fächer evangelische und katholische Religionslehre, Ethik, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Physik unterrichten. Sie fungieren als Coaches auf Augenhöhe und wollen sogar geduzt werden.
Moderator des ersten Tages ist Christian Große, Student aus Mainz und aktiv bei den „Students for Future“. Was die nächsten Wochen jeweils mittwochs zwischen der dritten und sechsten Unterrichtsstunde geschehen wird, ist eine willkommene Abwechslung zum herkömmlichen Unterricht: Das bevorstehende Projekt „Future Skills“ ist ein notenfreier Raum, in dem die Jugendlichen eine eigene Projektidee entwickeln sollen, auf der Basis der „Sustainable Development Goals“ (SDGs). Dies sind von den Vereinten Nationen formulierte Ziele für eine nachhaltige Entwicklung weltweit auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene. Diese Ziele reichen von „Keine Armut“ über „Maßnahmen zum Klimaschutz“ bis zu „Geschlechtergleichheit“. Innerhalb ihres gewählten SDG sollen sich die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen anhand einer von ihnen selbst festgelegten Forschungsfrage Wissen aneignen, Ideen zu Lösungen und/oder Verbesserungen des Problems sammeln und sich mit Experten dieses Bereiches austauschen. Und zwar frei von Lehrplänen und ohne Noten. Ziel ist es, dass sich die Schülerinnen und Schüler am Ende des „Future-Skills“-Projekts mit ihrem Thema intensiv beschäftigt haben („Deep Dive“ genannt) und tiefgreifende Kenntnisse erworben haben. Wichtig dabei sind die Selbstorganisation und die Auswahl der Themen nach persönlichen Interessen und Fähigkeiten. Bis Ende Juni ist den 58 Schülerinnen und Schülern nun Zeit gegeben, um sich in Ruhe mit ihrem SDG zu beschäftigen und daraus eine Projektidee zu entwickeln.
Bei der Kick-off-Veranstaltung stellt Moderator Christian Große zunächst mögliche Themen vor. Diese werden anhand von Videos veranschaulicht, die auf Krisenherde und Notlagen in aller Welt aufmerksam machen. Bei einem Gallery-Walk geben Plakate tiefere Einblicke in die 17 SDGs und die Mentoren beantworten Fragen der Schülerinnen und Schüler. Zurück im Klassenraum bilden sich anschließend die Gruppen je nach gemeinsamen Interessen. Jede entwirft dann einen „Golden Circle“ nach einem Denkmodell für Manager von Simon Sinek. Dieses zielt darauf ab, in Unternehmen und Organisationen visionäre Vorhaben zu realisieren und Mitarbeiter zu inspirieren. Im äußeren Ring steht das WAS. Es wird visualisiert und es wird festgelegt, was zu tun ist. Im zweiten Ring folgt das WIE, also die konkrete Vorgehensweise. Motivierend ist es aber meistens, ein Ziel im Blick zu haben, also zu wissen, WARUM man etwas tut, was also die Vision und das Ziel hinter allem Tun ist. Deshalb steht das WHY im Inneren des Zirkels. Sinek regt an, von innen nach außen zu kommunizieren, also den Mitarbeitern zuerst die Vision des Unternehmens als Motivation vor Augen zu führen. Bezogen auf die SDGs bedeutet das, zuerst das Ziel und die Vision zu definieren und dann die Problemlösung anzugehen. Die Schülerinnen definieren also zunächst konkrete Beispiele für Probleme und Herausforderungen, die sie bewegen, und entwickeln positive Idealvorstellungen. Ein konkretes Beispiel ist das Thema Energie. Die Vision hierbei: bezahlbare und nachhaltige Energie für alle.
Auch die beteiligten Lehrkräfte sind begeistert von ihrer Rolle als Lerncoaches. Die Schülerinnen und Schüler befreit von dem üblichen Notendruck arbeiten zu sehen, ist eine neue Erfahrung. Während sonst extrinsische Motivation Fleiß erzeugt, sind die Jugendlichen hier nun auf ihre eigene Motivation ohne externen Ansporn angewiesen. Wie stark ihre intrinsische Motivation ist, trotz notenfreien Raumes ein gutes Projekt auf die Beine zu stellen, wird sich dann in ein paar Wochen zeigen. Die Neugier ist jedenfalls geweckt.
Bericht: Livia Kniep, Fotos: Er