Wer schon einmal über die Golden Gate Bridge in San Francisco, die Brooklyn Bridge in New York oder die Tower Bridge in London flaniert oder gefahren ist, weiß, welch faszinierende Bauwerke Brücken sein können. Die Erwartung auf das, was auf der anderen Seite wartet, beschert manch einem ein Gefühl der Erwartung und Vorfreude. Der Blick auf Bundesstraßen und auf Autobahnen sorgt für das Empfinden, buchstäblich über den Dingen zu stehen. Auf Flüsse und in Schluchten zu sehen verursacht mitunter sogar ein wohliges Schaudern. Macht man sich dazu noch bewusst, dass es sich bei Brücken um die ältesten Bauwerke der Menschheit handelt, wirkt manch ein Exemplar gleich noch viel erhabener. Dabei handelt es sich bei Brücken um eine Zufallsentdeckung: Umgestürzte Baumstämme, die über Abgründe ragten, brachten die Menschen einst auf die Idee, sich das dahinter erkennbare Prinzip zunutze zu machen.
Dies erfuhren die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 8 des Stromberg-Gymnasiums, die Naturwissenschaft und Technik (NwT) als Profilfach belegen, aus dem Vortrag von Dr. Alexander Hub, geschäftsführender Gesellschafter der Alfred Rein Ingenieure GmbH in Stuttgart. Gemeinsam mit Norbert Schröter, leitender Architekt der Bau- und Gebäudestrategie der Kreissparkasse Ludwigsburg, war er auch in diesem Jahr an die Schule gekommen, um Achtklässlerinnen und Achtklässler auf den Wettbewerb Junior.ING der Ingenieurkammer Baden-Württemberg einzustimmen.
„Brücken schlagen“ lautet in diesem Jahr das Motto des Wettbewerbs. Aufgabe ist die Konstruktion einer Rad- und Fußwegbrücke auf einer Grundfläche von 80 mal 20 Zentimetern. Das fertige Bauwerk muss ein Gewicht von mindestens 800 Gramm tragen können. Wie Norbert Schröter erläuterte, ist die Anzahl der Materialien begrenzt: Erlaubt sind nur Papier, Holz- und Kunststoffstäbchen, Folie, Klebstoff, Schnur, Stecknadeln und Farbe. Keine Grenzen gesetzt sind dagegen der Fantasie der Nachwuchsingenieurinnen und -ingenieure. Sie dürfen sich aber von bestehenden Bauwerken inspirieren lassen.
Um die Fantasie der Schülerinnen und Schülern anzuregen, stellte Schröter zunächst unterschiedliche Brückentypen vor – Balkenbrücken, Hängebrücken, Bogenbrücken – und wie sie jeweils konstruiert sind. Er hatte aber auch ein Beispiel parat, wie die fertigen Modelle nicht aussehen sollten: „Krumm und schief und ohne Handlauf“ – und machte damit deutlich, dass die Jury Wert auf eine „saubere Konstruktion mit klarem Tragwerk“ legt. Wie Alexander Hub erläuterte, zählen zu den Bewertungskriterien die Entwurfsqualität des Tragwerks, die Einhaltung der vorgegebenen Abmessungen und Materialien, ein effizienter Einsatz der Materialien sowie das Bestehen des Belastungstests, die Verarbeitungsqualität sowie Gestaltung und Originalität. Zwar sei der Wettbewerb bundesweit ausgeschrieben, die Schülerinnen und Schüler müssten aber zunächst die Jury auf Landesebene überzeugen. Und da gelte nun mal: „Der schwäbische Ingenieur legt Wert auf Sauberkeit!“
Eine große Rolle spiele bei der Bewertung der Modelle auch der Aspekt der Nachhaltigkeit. Daher empfahl Hub, eher trennbare Materialien statt Klebstoff zu verwenden: „Eine Stecknadel ist, auf die Größe des Modells bezogen, genauso stabil wie bei einer echten Brücke ein Bolzen oder Stahldübel“, gab er zu bedenken. Um die Fantasie der Schülerinnen und Schüler anzuregen, nahm Hub sie auf eine virtuelle Reise zur Besichtigung unterschiedlich gebauter und konstruierter Brücken aus aller Welt mit: Von der Schweiz über Bochum, Duisburg, Kopenhagen bis in die USA. Am Trumpf-Steg in Ditzingen, der die beiden Flächen des Geländes der Firma Trumpf miteinander verbindet, lobte der Ingenieur die „technische Perfektion und die Fertigungsqualität“.
Anhand der „Aspiration Bridge“, über welche die Tänzer der Royal Ballet School in London zum Opernhaus gelangen, brachte Hub eine weitere interessante Anregung ein: Mit der Brückenkonstruktion kann auch eine bestimmte Aussage verbunden werden. In diesem Fall, so Hub, handele es sich um eine Brücke „mit tanzendem Charakter“. Mitunter könne die Aussage sogar „in den Vordergrund gestellt werden, auch vor dem Tragwerk“. Die angehenden Brückenbauerinnen und Brückenbauer könnten sich beispielsweise überlegen: „Was macht das Stromberg-Gymnasium aus – und wie könnte das in eine Brücke transportiert werden?“ Das könne, so Hubs Einschätzung, „zu einer tollen Ästhetik führen“.
Solchermaßen mit Anregungen, Hinweisen und Tipps ausgestattet, haben die Achtklässlerinnen und Achtklässler nun bis 17. Februar 2023 Zeit, ihre Brücken zu konstruieren und zu bauen. Dann müssen die fertigen Modelle bei der Ingenieurkammer Baden-Württemberg vorliegen. Die Verleihung der Landespreise findet im Frühjahr 2023 im Europapark Rust statt. Den Landessiegern winken ein Preisgeld von 250 Euro sowie die Teilnahme am Bundeswettbewerb. Und bestimmt fällt so mancher Schülerin und so manchem Schüler während der Arbeit an den Modellen auch die metaphorische Bedeutung des Mottos auf. Wenn dann die eine oder der andere darüber nachdenkt, wo es heute noch überall Brücken zu schlagen gilt, außer in der Natur, ist das sicher auch im Sinne der Initiatoren des Wettbewerbs.
Bericht und Fotos: Sy