Stromberg-Gymnasium nimmt erneut an „Jugend debattiert“ teil.
2016 wurde das Wort „postfaktisch“ von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres“ gekürt, 2017 benutzte die Beraterin des damaligen US-Präsidenten Donald Trump den Begriff der „alternativen Fakten“, um die falsche Angabe des Pressesprechers des Weißen Hauses über die Besucheranzahl bei der Amtseinführung Trumps zu rechtfertigen. Auch wenn das postfaktische Zeitalter als Begriff für die Beschreibung unserer Gegenwart umstritten ist, so lässt sich ein Trend zur Verrohung und Radikalisierung der Debattenkultur nicht leugnen. Charakteristisch ist eine Vermischung von Meinung, Emotion und Fakten, die mit einem beleidigenden Sprachgebrauch einhergeht.
Mit der jährlichen Teilnahme der neunten Klassen am bundesweiten Wettbewerb „Jugend debattiert“ setzt das Stromberg-Gymnasium durch die feste Verankerung des Projekts im Schulcurriculum auch dieses Jahr wieder gezielt ein Zeichen gegen diese Entwicklung und setzt sich für eine demokratische Debattenkultur ein. In einer mehrwöchigen Unterrichtseinheit im Fach Deutsch, die der Kür von zwei Schulsiegern bzw. -siegerinnen vorausgeht, feilen die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler in verschiedenen Debatten an ihrer Gesprächs- und Ausdrucksfähigkeit sowie an ihrer Überzeugungskraft, indem sie ganz unterschiedliche gesellschaftlich wie politisch relevante Themen von verschiedenen Standpunkten aus beleuchten. Durch die Konfrontation mit entgegengesetzten Positionen üben die Debattierenden, auf ihre Diskussionspartner Bezug zu nehmen, begründet Stellung zu beziehen und sich mit anderen Meinungen auf einer sachlichen Ebene auseinanderzusetzen.
In einem spannenden Halbfinale, für das sich aus allen neunten Klassen zuvor insgesamt sieben Schülerinnen und ein Schüler qualifiziert hatten, standen mit den Streitfragen „Soll nur noch Schokolade verkauft werden dürfen, deren Kakao unter fairen Bedingungen angebaut und geerntet wurde?“ und „Soll der Import von Flugobst verboten werden?“ insbesondere Fragen globaler Tragweite im Raum, deren ökologische und soziale Dimension in den zwei Debatten verhandelt wurde. Dabei setzten sich Luisa Mayer, Julissa Plazibat, Kathi Sternberger und Anton Burgstahler durch, die am vergangenen Dienstag dann im Schulfinale gegeneinander antreten durften.
Während die Themen des Halbfinales Probleme von internationaler Bedeutung zur Diskussion stellten, betraf die Streitfrage des Schulfinales die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler unmittelbar: „Sollen ab 16 Jahren Körpermodifikationen auch ohne Zustimmung der Eltern erlaubt sein?“ Infolge dieses immer stärker werdenden Trends – nach einer zitierten Studie der Universität Leipzig ist mittlerweile jeder fünfte Deutsche tätowiert – betonten alle Debattanten in ihrer Eröffnungsrede die Aktualität der Streitfrage. Zunächst bemühte man sich um eine Eingrenzung, was denn unter einer Körpermodifikation überhaupt zu verstehen sei. Darunter seien neben Tätowierungen auch Piercings, Implantate und Skarifikationen, das gezielte Einbringen von sogenannten Ziernarben in die Haut, zu verstehen. Julissa und Kathi hoben in ihrer Position als Proseite besonders die Verantwortung hervor, die man ab 14 Jahren innerhalb der Gesellschaft habe. So führte beispielsweise Kathi an, dass man mit 14 immerhin schon religionsmündig, zum Teil sogar strafmündig sei, wie auch Ferienjobs ausüben dürfe, mit 16 Bier, Wein und Sekt kaufen sowie den begleiteten Führerschein machen könne. Das stehe – so betonte die Proseite mehrmals – im starken Widerspruch zu der fehlenden Entscheidungskompetenz im Bereich der Durchführung von Körpermodifikationen. In ihrer Funktion als Kontraseite problematisierten Luisa und Anton diese allerdings als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Jugendlichen. Zur Untermauerung zitierte Luisa, deren Beiträge sich über die ganze Debatte hinweg durch eine flexibel eingesetzte Sachkenntnis auszeichneten, Artikel 3 des Grundgesetzes, in dem eben diese körperliche Unversehrtheit jedem Menschen zugestanden wird. Ihrer Meinung nach müssten bei Minderjährigen die Eltern für die Gewährleistung dieses Grundrechts Sorge tragen. Demgegenüber schlug die Proseite als Voraussetzung für eine gesetzliche Durchsetzung einer Erlaubnis eine Regelung vor, die die Jugendlichen vor einem geplanten Eingriff zu Beratungsgesprächen mit der durchführenden Institution verpflichten würden. Dem hielt die Kontraseite allerdings entgegen, dass grundsätzlich unklar sei, welche Arten von Körpermodifikation Jugendlichen überhaupt erlaubt werden sollten, da diese Risiken von ganz unterschiedlichem Ausmaß nach sich zögen. Durch solche kritischen Einwände zeigte sich vor allem Luisa als aufmerksame Zuhörerin, die dadurch die Argumente der Proseite immer nachvollziehbar infrage stellte. Damit sicherte sich Luisa den ersten Platz. Als Zweitplatzierte ging Julissa aus der Debatte hervor, die durch einen guten Überblick über die wesentlichen Inhalte der Debatte eine starke Präsenz beweisen konnte und in ihrer Argumentation zu jeder Zeit eine klare Struktur beibehielt. Damit werden sie beide an der Regionaldebatte am 21. Februar teilnehmen, bei der sie hoffentlich ihre erlernten Fähigkeiten in ebenso gelungener Weise beweisen können.
So oder so – das Motto von Jugend debattiert ist und bleibt nichtsdestotrotz, dass „alle gewinnen“: Nämlich an Sensibilisierung, was eine gute Debattenkultur auszeichnet, und damit gleichzeitig auch die Fähigkeit, emotionale und unseriöse Äußerungen aufzudecken und diesen mit begründeten Argumenten zu begegnen. In diesem Sinne lernen die Schülerinnen und Schüler durch die Teilnahme an „Jugend debattiert“ auf einer sachlichen Ebene mit anderen Meinungen in einen Austausch zu treten, was eben ganz zentral für unser Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft ist.
Bericht: Jk, Fotos: Pz/Sy