Über den Schanzentisch auf die Aufsprungbahn

NwT-Schüler konstruieren Skisprungschanze für Junior.ING-Wettbewerb

Der Athlet nimmt auf dem Zitterbalken Platz und schaut in die Tiefe. Der Blick die Skisprungschanze hinunter versetzt ihm einen Adrenalinstoß. Die Ampel schaltet auf Grün. Er stößt sich ab und gleitet in gebückter Haltung die Anlaufbahn hinunter. Mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h passiert er den Schanzentisch – und springt ab. Seine Ski formen in der Luft ein „V“. Er leitet die Landung ein, stellt die Ski wieder parallel und breitet die Arme aus. Schließlich landet er sicher auf der Aufsprungbahn und lässt den Sprung im Auslauf der Schanze ausklingen. Auch wenn es ihm selbst wie eine kleine Ewigkeit vorkam – das Ganze hat nur etwa drei Sekunden gedauert.

Wer einen solchen Sprung hinter sich bringt, dem sind Respekt und Bewunderung sicher. Aber was wären Carina Vogt, Sven Hannawald, Jens Weißflog oder Martin Schmitt ohne diejenigen gewesen, die viel Hirnschmalz und Schweiß in Konstruktion und Bau der Schanzen gesteckt hatten, von denen aus sie in den Ruhm sprangen? 

Die Schülerinnen und Schüler der achten und neunten Klassen des Stromberg-Gymnasiums, die Naturwissenschaft und Technik (NwT) als Profilfach gewählt haben, werden in ein paar Monaten ein Lied davon singen können, wie viel Überlegung und Geschick nötig sind, um eine Skisprungschanze zu bauen. Genau dies ist nämlich ihre Aufgabe beim Wettbewerb Junior.ING der Ingenieurkammer Baden-Württemberg, der in diesem Jahr unter dem Motto „IdeenSpringen“ steht. Verlangt wird, eine Großschanze für einen Wintersportort zu planen und zu bauen – alleine oder in einer Gruppe von bis zu drei Personen, auf einer Grundfläche von maximal 80 mal 20 Zentimetern. 

Eingestimmt auf diese Aufgabe wurden die Schülerinnen und Schüler in der vergangenen Woche mit einem Expertenvortrag. Dazu waren, fast schon traditionell, Norbert Schröter, leitender Architekt der Bau- und Gebäudestrategie der Kreissparkasse Ludwigsburg, und Dr. Alexander Hub, geschäftsführender Gesellschafter der Alfred Rein Ingenieure GmbH in Stuttgart, ans Stromberg-Gymnasium gekommen. Schröter gab auch einen Einblick in die Geschichte des Skispringens. Sie nahm ihren Anfang im 18. Jahrhundert, als norwegische Soldaten waghalsig Häuser- und Scheunendächer zu Sprungschanzen umfunktionierten. Zur Geschichte des Skispringens gehören auch seine Erhebung zur olympischen Disziplin im Jahr 1924, der erste Sprung über 200 Meter im Jahr 1994 sowie der derzeitige Weltrekord von 253,5 Metern, den der Österreicher Stefan Kraft am 18. März 2017 aufstellte. Außerdem hielt Schröter eine Vielzahl von Bildern und Informationen über Skisprungschanzen in aller Welt bereit. So konnten sich die Schülerinnen und Schüler etwa an den Beispielen ausgewählter Skisprungschanzen in Oberstdorf, Oslo, Nischni Nowgorod, Ironwood (US-Bundesstaat Michigan) oder Pyeongchang (Südkorea) ein Bild davon machen, was in den nächsten Wochen und Monaten auf sie zukommt. 

Bei aller Inspiration, die bereits existierende Bauwerke liefern können, ist es wichtig, „eigene Ideen einzubringen“. Das betonte Alexander Hub gleich zu Beginn seines Beitrags und sah die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler als „Vierklang“: Eine klare Konstruktion, gute Details („Ingenieure müssen das große Ganze, aber auch Details sehen“), ein anspruchsvolles Design („vielleicht auch einen Ticken überraschend“) sowie eine saubere handwerkliche Umsetzung gehören dazu.

Auch Hub verwies auf viele schon vorhandene Sprungschanzen, allen voran die „gefährlichste Sprungschanze der Welt“: Pitkävuori in Finnland. Da eine außergewöhnliche hohe Zahl an verunglückten Springern auf ihr Konto ging, wurde sie 1994 stillgelegt. Der Seitenwind war es, der eine zu große Gefahr darstellte: „Der Wind ist der Feind des Adlers“, brachte es Hub auf den Punkt. Anhand weiterer Beispiele erläuterte der promovierte Ingenieur, durch welche Konstruktionen zu viel Seitenwind vermieden werden kann – etwa durch Windschutznetze oder durch Luftschleusen, wie man sie aus dem Eingangsbereich von Kaufhäusern kennt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Skiflugschanze in eine Waldschneise einzubetten, die den Wind fernhält – so geschehen im Fall der Bergisel-Schanze in Innsbruck.

Seitenwind fernzuhalten muss indes für die Schülerinnen und Schüler bei der Konstruktion ihrer Skisprungschanze nicht oberste Priorität haben: „Es wird niemand einen Föhn neben Ihr Modell halten“, versicherte Hub. Zu den Anforderungen gehört vielmehr, dass dieses mit einem Gewicht von 500 Gramm belastbar ist, wie eine Skisprungschanze funktioniert – und vor allem bis zum Einsendeschluss am 11. Februar fertig ist. Die Preisverleihung auf Landesebene soll dann am 18. Mai im Europa-Park Rust stattfinden.  

Wer oder was wird das Modell eigentlich unter den prüfenden Blicken der Juroren hinabgleiten, um dessen Funktion als Skisprungschanze zu testen? Eine schnöde, zur Ausschüttung von Adrenalin unfähige, handelsübliche Glasmurmel. Schade irgendwie.

Bericht und Fotos: Sy