Lesen gehört zum Glück auch heute zu den eher ungefährlichen Dingen – oder eben nicht, wenn man der Hauptfigur Tim, genannt „Ahab“, in Martin Gülichs Roman „Der Zufall kann mich mal“ folgt. So folgte Martin Gülich am 12. Oktober 2020 leibhaftig der Einladung ans Stromberg-Gymnasium anlässlich des Frederick-Tages und las eben nicht einmal, sondern dreimal hintereinander den 8. Klassen aus seinem Jugendbuch vor. Natürlich kam man anschließend eben darüber, aber auch über den Autor, die Frage, wie man einer wird, und vieles mehr ins Gespräch.
Wie Lesen gefährlich werden kann? Indem man ein spannendes Buch liest, die letzten Seiten trotz der Notwendigkeit, pünktlich zum Hockeytraining zu kommen, noch auf dem Fahrrad liest, da das Ende einfach zu spannend ist, und dann – einen folgenschweren Unfall hat: Ein Bein von Tim wird schwer verletzt, untauglich für den Sport. Aber Tim lässt sich nicht zum Außenseiter abstempeln, er nimmt die Außenseiterrolle gar nicht erst an. Stattdessen wird er zum Anwalt eines Freundes, dessen Leben richtig aus den Fugen gerät.
Es ist wirklich sehr spannend, ein Buch von seinem Autor selbst gesprochen zu hören. Die Geschichte steht dann so richtig plastisch im Raum, findet auch direkt ihre Empfänger, denn Gülichs Worte wollen nicht das Aufsehen, das Laute und Reißerische. Sie setzen die Lupe an den kleinen Dingen an, die oft nur in der Wahrnehmung des Ich-Erzählers relevant erscheinen, uns aber vielleicht doch etwas angehen, weil sie so menschlich sind. Sie erlauben es zu schmunzeln und meinen doch alles ganz ernst. Tim meistert seinen Alltag mit dem steif gewordenen Bein und sein Trotz scheint auch auszureichen, seinem Klassenkameraden Remo in einer Ausnahmesituation zu helfen. Dafür lässt er dann eben sein erstes Date platzen. Wahre Freundschaft eben.
Daran konnten die Achtklässler an vielen Stellen anknüpfen. So kam zum Beispiel die Frage auf, wie man die Formate von Sätzen in einer Erzählung angemessen gestaltet: eher lang, verschachtelt, oder knapp? Gülich antwortete darauf ganz unprätentiös, das Schreiben sei ein Prozess des Ausprobierens, verbunden mit der Erfahrung des Schreibenden, die ihn abwägen lässt, wo man sich zwischen ästhetischen Ansprüchen und dem Anspruch auf Verständlichkeit für den Leser bewegt. Kurz: Es gebe keine festen Regeln.
Ob seine Bücher Autobiographisches enthalten, wie man Autor wird – viele weitere Fragen zeigten das Interesse daran, die Tätigkeit des Schreibens in seinem Umfeld genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war ein Vormittag, der vielleicht Räume in manchen Köpfen mal wieder anders geöffnet hat, anders als Schulunterricht es vermag. Es bleibt ein herzliches Dankeschön an den Autor und die Empfehlung, das Buch ganz zu lesen! Hartmann