(Hx) „Das ist Papa im Schlauchboot. Das ist Mama im Schlauchboot. Das bin ich im Schlauchboot.“ Monoton wischt Kimilein durch die Erinnerungsfotos an den Sommerurlaub. Die Nachbarinnen sagen artig „oh!“ und „ah!“ und schauen nicht einmal hin. „Schneller, schneller!“ brüllt die Regisseurin, schneller wird gewischt und ge-oht und ge-aht.
Szenen wie diese sind es, die die Zuschauer bei der Aufführung von Hans Peter Tiemanns Stück „Tempo“ am Vaihinger Stromberg-Gymnasium lachend herausplatzen lassen, ihnen aber gleich darauf wie ein Kloß im Hals stecken. Gleich zweimal brachte die Unterstufen-Theater-AG unter der Leitung von Dorothea Schwilk das Stück in der vergangenen Woche auf die Bühne und regte die zahlreichen Gäste zum Nachdenken an.
Die Gesellschaftssatire hält dem Zuschauer den Spiegel vor. An vielen Stellen erkennt man sich wieder, meist ist das unangenehm. Beispielsweise wenn gleich zu Beginn alle Darsteller empört auf die Bühne stürmen und sich darüber beschweren, dass die Regisseurin das Stück kürzen will. Jeder hält seine Rolle für die wichtigste und seine Szene für unverzichtbar. Kritik an den anderen ist schnell formuliert, Fehler sind schnell gefunden. Man selbst ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht, die anderen sind verzichtbare Statisten.
Die Regisseurin des Stücks im Stück zeigt sich jedoch unbeeindruckt vom Gejammer ihrer Darsteller und treibt alle zu noch mehr Tempo an. Gnadenlos wird gekürzt und eingedampft. Wer seine Szene nicht den Wünschen der Regisseurin entsprechend spielt, muss diese so oft wiederholen, bis sie zufrieden ist. Meist bleibt am Ende nicht viel vom Gehalt übrig. Aus den romantischen, vorsichtigen Annäherungsversuchen von Fräulein Heidenreich und Herr Kottmann wird beispielsweise ein herzloses Speed-Date, auf den ersten Kuss folgen prompt die Hochzeit, das erste Kind und schließlich die Trennung. Für ernsthafte Gefühle ist da kein Platz.
Tiemanns Stück zeigt so, was wir verloren haben: die Fähigkeit, uns in der Tiefe mit Dingen auseinanderzusetzen. Im Rausch der Geschwindigkeit, des Schneller-Höher-Weiter, kratzen wir bestenfalls an der Oberfläche von Erlebnissen, Personen und Erfahrungen. Für alles weitere ist keine Zeit. Uns geht die „Dimension der Tiefe“ verloren, bemerkte der Theologe Paul Tillich schon Ende der 60er Jahre. Die Menschen hätten keinen Mut mehr, sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Woher und Wohin zu stellen, und auch keinen Mut mehr, auf irgendwelche Antworten zu hören. Und keine Zeit, könnte man heute hinzufügen.
Deutlich wird im Stück, dass letzteres aber häufig nur eine Illusion ist. Wenn beispielsweise der barsche Arzt seine Patientin in ein höchstgradig absurdes Gespräch verwickelt, das außer zu allgemeiner Verwirrung zu keinem Ergebnis führt, wird man das Gefühl nicht los, dass es schon Zeit gegeben hätte – man hätte sie besser nutzen können. Wenn man einander zugehört hätte zum Beispiel, statt sich nur selbst gerne reden zu hören.
Die zwischen den Szenen auftretenden Assistentinnen der Regie bestätigen: 40% der Zuschauer kennen diese Situation von zuhause. 10% könnte es ruhig noch etwas schneller gehen. Die Regisseurin reagiert prompt und lässt eine Mutter, die ihre beiden Kinder gerade recht ungelenk aufklären will, von den Darstellern der nächsten Szene von der Bühne fegen. Ihre Töchter juckt es wenig – waren sie doch sowieso gerade nur in ihr Smartphone vertieft.
An diesem turbulenten Theaterabend gelang es den jungen Darstellerinnen und Darstellern bravourös, auch angesichts der kurzen Szenen und schnellen Wechsel ihr großes Talent unter Beweis zu stellen und die Zuschauer ihre Spielfreude spüren zu lassen, die trotz der deutlichen Gesellschaftskritik nie zu kurz kam. Spätestens bei der großen Mohrenkopfschlacht, in die ein Partygespräch ausartet, bog sich auch der letzte Zuschauer vor Lachen.
Unterstrichen wurde die allgemeine Spielhektik durch das schnell wechselnde Bühnenbild, das sich mit Hilfe eines speziellen Rückprojektionsbeamers realisieren ließ. Die Technik-AG leistete dabei großartige Arbeit, für die sie von AG-Leiterin Dorothea Schwilk abschließend sehr gelobt wurde. Insgesamt habe ihr die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern großen Spaß gemacht und es sei eine Freude zu sehen, wie die Schüler während der gemeinsamen Arbeit aufblühen und in ihre Rollen hineinwachsen. Die Theaterarbeit sei als Bestandteil des ganzheitlichen Lernens nicht zu unterschätzen, so Schwilk, denn die Schüler könnten dabei sich selbst, ihr Umfeld und das Zusammenspiel von Ich und Du ganz neu erleben und sich darin erproben, ohne dass dies gleich mit einer Bewertung verbunden sei. Sie freue sich, dass dieses Angebot am Stromberg-Gymnasium in der Unterstufen- sowie in der Mittel-und-Oberstufen-Theater-AG und der entsprechenden Differenzierungsgruppe für Fünftklässler so gut angenommen werde.